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Medizin und Knast

Trans* im Knast

Triggerwarnung: Im folgenden Text werden Transfeindlichkeit, Gewalt und Isolationshaft mit ihren körperlichen und psychischen Folgen thematisiert. Wenn du im Moment nicht in der Lage dazu bist, damit umzugehen, dann lies diesen Text (jetzt gerade) besser nicht. Überlege dir, ob du den Text besser nicht alleine, sondern in Gesellschaft von Bezugspersonen lesen möchtest.

Trans* sein wird im Gefängnis nicht mitgedacht. Stattdessen werden trans* Menschen aktiv diskriminiert und isoliert. Neben allgemeinen krankmachenden Faktoren des Knastalltags sind Gefangene, die trans* sind, von weiteren spezifischen (gesundheitlichen) Problemen im Gefängnis betroffen.

(Einige wichtige Begriffe, die nicht direkt im Text erklärt werden, sind am Ende der Seite im Glossar zu finden. Dort finden sich auch Verweise, die im Text an der jeweiligen Stelle mit einer Fußnote markiert sind.)

Zuteilung zu Männer- und Frauengefängnissen

Institutionelle Transfeindlichkeit wird schon in der Zuteilung zu Männer- und Frauengefängnissen sichtbar. Es gilt der sogenannte Trennungsgrundsatz. So werden Personen nach ihrem Personenstand, also dem eingetragenen Geschlecht, eingeteilt. Dabei ist es den Justizvollzugsanstalten selbst überlassen, ob sie einen Ergänzungsausweis anerkennen.

Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG), welches das diskriminierende und veraltete sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) ablösen soll, bringt bezüglich der Zuteilung zum Gefängnis keine Verbesserung für trans* Menschen. Im Gegenteil steht im aktuellen Entwurf des SBGG unter dem Punkt „Unterbringung im Justizvollzug“ explizit ein Passus, der besagt, dass die Einteilung nicht auf Basis des Personenstandes bzw. Personenstandsänderung erfolgen muss:

„Die Unterbringung von Strafgefangenen muss sich nicht allein am Geschlechtseintrag orientieren, das SBGG gebietet mithin nicht, dass Personen immer entsprechend ihrem personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag in einer entsprechenden Anstalt untergebracht werden. Das Grundgesetz und die Fürsorgepflicht der Anstalt verlangen vielmehr, bei der Unterbringung im Strafvollzug die Sicherheitsinteressen und Persönlichkeitsrechte aller Strafgefangenen zu berücksichtigen. Ändert ein bislang männlicher Strafgefangener seinen Geschlechtseintrag in „weiblich“, können Persönlichkeitsrechte und Sicherheitsinteressen anderer Strafgefangenen seiner Verlegung in ein Frauengefängnis gegebenenfalls entgegenstehen, eine Differenzierung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bleibt nach Maßgabe der Landesgesetze mithin auch weiterhin möglich.“1

Zwar ist eine Personenstandsänderung nach TSG komplizierter, aufwändiger, teurer und hochschwelliger als durch das SBGG, jedoch bietet eine Personenstandsänderung nach TSG offensichtlich eine klarere Grundlage bei der Zuordnung zu Männer- und Frauengefängnissen als die Personenstandsänderung nach SBGG. Gleichzeitig wird hier ein transfeindliches Narrativ der „Sicherheitsinteressen anderer Strafgefangenen“ aufgenommen.

Nicht-Binarität und Intergeschlechtlichkeit finden weder im Trennungsgrundsatz noch im SBGG Erwähnung. Es ist davon auszugehen, dass nicht-binäre Menschen hauptsächlich auf Basis ihres bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts und Personenstands bzw. auf Basis biologischer Merkmale zugeteilt werden.

Diskriminierung im Gefängnis und Isolationshaft

Trans* Menschen erleben in Gefängnissen laut Studien regelmäßig Anfeindungen, Diskriminierung und Gewalt von Personal und anderen Gefangenen2. Personal und andere Gefangene sind nachweislich nicht ausreichend sensibilisiert im Umgang mit trans* Menschen3. Das führt zu häufigeren Konflikten, auch zwischen den Gefangenen.

Immer wieder wird berichtet, dass es bei Konflikten und gewaltvollen Auseinandersetzungen im Gefängnis häufig üblich ist, aus „pragmatischen Gründen“ nicht die Aggressor*innen, sondern die angegriffene Person in Isolationshaft unterzubringen. Häufig gehören diese einzelnen, angegriffenen Personen (mehrfach) marginalisierten Gruppen an. So ist davon auszugehen, dass auch trans* Menschen häufiger isoliert werden. Berichten zufolge erfolgt diese Isolierung von trans* Menschen teilweise schon vor dem Auftreten von Konflikten mit der Begründung einer „Gefahr der Sicherheit“. Gewaltvollen Auseinandersetzungen soll dadurch vermeintlich vorgebeugt werden. Offizielle Zahlen und statistische Auswertungen zu trans* Menschen in Isolationshaft gibt es nicht.

Die Isolationshaft ist eine schwerere Form des Strafvollzugs mit kompletter Abgrenzung von anderen Gefangenen. Zahlreiche gesundheitliche (Langzeit-)Folgen körperlicher und psychischer Art sind nachgewiesen4. So ist die Isolationshaft u.a. als der größte Risikofaktor für Suizid bei Gefangenen belegt5.

Medizinische Transition in Haft

Das in Deutschland geltende Äquivalenzprinzip besagt, dass Gefangenen die gleiche medizinische Versorgung in Haft zusteht wie gesetzlich Versicherten außerhalb des Knasts. Trotz des Äquivalenzprinzips haben trans* Menschen nur eingeschränkte Möglichkeiten der sozialen und medizinischen Transition im Knast. Die Dringlichkeit der Versorgung wird häufig kleingeredet mit dem Verweis darauf, dass die Transition bis nach der Haftstrafe warten könne. Dass ein Aufschieben dieser Maßnahmen schlecht ist, wird selbst in der aktuellen S3-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit“ deutlich. In dieser wird auf die Wichtigkeit und Notwendigkeit medizinischer Transitionsmaßnahmen hingewiesen und es werden Studien zitiert, die eine Verbesserung der psychischen Gesundheit von trans* Menschen durch von ihnen erwünschte körperliche Veränderungen belegen6.

Des Weiteren wird Fachpersonal häufig nicht hinzugezogen und Anträge zu stellen für die Durchführung und Kostenübernahme von Leistungen im Rahmen der medizinischen Transition wird meistens erschwert. Dazu kommt, dass es an einer psychologischen Betreuung in der Regel gänzlich fehlt. Wenn eine medizinische Transition im Knast stattfindet, ging dieser in den meisten Fällen ein mühsamer Prozess der Betroffenen voraus. Diese Situation beschreiben viele trans* Personen, die in Haft medizinisch transitionieren wollten oder mit der Transition begonnen haben. Verlässliche Zahlen gibt es nicht, unter anderem auch, weil nicht einmal die Anzahl an trans* Menschen in deutschen Gefängnissen erfasst wird.

Initiativen wie die trans*-Ratgeber-Gruppe bieten Informationen für trans* Menschen in Haft an. In ihrer Broschüre7 wird neben Regularien, Tipps und Möglichkeiten der Transition in Haft auch auf die alltäglichen Probleme und Herausforderungen von trans* Menschen in Haft eingegangen.

Öffentliche Wahrnehmung

In der Öffentlichkeit wird häufig ein falsches Bild von Gefangenen gezeichnet, das suggeriert, Menschen seien selbst schuld, im Knast zu sein. Das ignoriert die Lebensumstände (mehrfach) marginalisierter und armer Menschen, die einerseits durch ihre Lebensumstände straffällig werden und andererseits für ihre Lebensumstände (z.B. Armut im Fall von Ersatzfreiheitsstrafen) bestraft werden. Zugespitzt wird dies in dem negativen Bild, das viele Menschen von Gefangenen in Isolationshaft haben. Doch auch hier werden die zuvor genannten Faktoren außer Acht gelassen. Insbesondere trans* Personen werden als kompliziert und fordernd sowie als Bedrohung der Sicherheit dargestellt. Es gibt einige Menschen, die mit ihren Erfahrungen im Gefängnis an die Öffentlichkeit gehen. Eine davon ist Alexia Metge, die über ihre Erfahrungen als trans Frau im Knast spricht8,9. Es ist wichtig, neben den Fakten über Gefängnis und Gesundheit und der besonders prekären Situation von trans* Menschen in Haft auch diese persönlichen Erfahrungsberichte zu hören und zu verbreiten.

Forderungen

Neben den gesundheitlichen und sozialen Problemen, denen alle Gefangenen im Knast ausgesetzt sind, sind trans* Menschen also von weiterer Gewalt betroffen. Falsche Zuteilung, Diskriminierung, körperliche Gewalt, häufigere Isolationsmaßnahmen und eine mangelhafte medizinische Versorgung im Rahmen der medizinischen Transition sind starke Risikofaktoren für verschiedene psychische und körperliche Probleme und machen krank.

Innerhalb des Strafsystems sollten aus sozialen und gesundheitlichen Gründen zumindest einige Veränderungen angestrebt werden, um die jetzige Situation von Menschen in Haft zu verbessern: Dazu gehören eine Abschaffung der Isolationshaft, ein professionelles Angebot der medizinischen und sozialen Transition, eine Sensibilisierung von Personal und anderen Gefangenen im Umgang mit trans* Personen sowie eine korrekte Zuteilung der Gefangenen nach Personenstand im angepassten Ausweisdokument bzw. im Ergänzungsausweis. Nicht-binäre und inter* Personen sollten selbst über ihre Zuteilung entscheiden dürfen.

Das Gefängnissystem, wie es momentan existiert, macht krank. Klar ist: wir brauchen einzelne Veränderungen für eine vorübergehende Verbesserung der Situation. Vor allem braucht es aber – gerade auch aus gesundheitspolitischer Sicht – einen grundlegenden Wandel: lasst uns das Strafsystem transformieren und uns nicht nur mit Reformen zufrieden geben! Queere Solidarität im Knast und überall!

Glossar/Erklärungen

  • Ergänzungsausweis: Ein Ergänzungsausweis ist ein Dokument, das ähnlich groß wie ein Personalausweis ist und diesen ergänzt, also in Kombination mit diesem gültig ist. Er kann relativ unbürokratisch über die dgti e.V. (Deutsche Gesellschaft für Transsexualität und Intersexualität) beantragt werden und ermöglicht die Angabe eines selbstgewählten Vornamens und Geschlechtseintrags.
  • Intergeschlechtlichkeit: „Intergeschlechtlichkeit bezeichnet generell angeborene körperliche Merkmale, die nicht in die binäre gesellschaftliche Norm von männlich und weiblich passen. […] Dies bedeutet […], dass der Körper eines intergeschlechtlichen Menschen nicht dem entspricht, was wir als Gesellschaft als männlich oder weiblich klassifizieren.“ (inter-nrw.de, zuletzt angerufen am 30.6.2023)
  • Nicht-binarität: „Nichtbinär ist ein Geschlecht. Als nichtbinär können sich Menschen bezeichnen, die nicht (oder nicht zu 100%) Mann oder Frau sind. Stattdessen ist ihr Geschlecht beispielsweise beides gleichzeitig, zwischen männlich und weiblich, oder weder männlich noch weiblich.“ (queer-lexikon.net, zuletzt angerufen am 29.6.2023)
  • S3-Leitlinie: Eine S3-Leitlinie ist die wissenschaftlich hochwertigste Form einer medizinischen Leitlinie, die evidenz- und konsensbasiert entwickelt wird, also strukturierte Studien und Expert*innenmeinungen einfließen lassen und stetig aktualisiert werden. Sie dienen als Behandlungsgrundlage in der Medizin.
  • trans*: „Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, sind trans. Nicht alle Menschen, auf die dies zutrifft, bezeichnen sich selbst so. Trans wird jedoch häufig als Selbstbezeichnung verwendet.“ (queer-lexikon.net, zuletzt angerufen am 29.6.2023)
  • Transition: „Als Transition wird der Prozess bezeichnet, in dem eine trans Person soziale, körperliche und/oder juristische Änderungen vornimmt, um das eigene Geschlecht auszudrücken. Dazu können Hormontherapien und Operationen gehören, aber auch Namens- und Personenstandsänderungen, ein anderer Kleidungsstil, eine neue Frisur und viel anderes.“ (queer-lexikon.net, zuletzt angerufen am 29.6.2023)

Verweise

1. Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(https://www.bmfsfj.de/resource/blob/224548/4d24ff0698216058eb758ada5c84bd90/entwurf-selbstbestimmungsgesetz-data.pdf)

2. Wissenschaftliches Review: Experiences of transgender prisoners and their knowledge, attitudes, and practices regarding sexual behaviors and HIV/STIs: A systematic review (Brömdal et al., 2019)

(https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32999591/)

3. Wissenschaftliches Review: Contemporary transgender health experience and health situation in prisons: A scoping review of extant published literature (2000-2019) (Van Hout et al., 2020)

(https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34993510/)

4. Wissenschaftliches Review: The body in isolation: The physical health impacts of incarceration in solitary confinement (Strong et al., 2020)

(https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33035215/)

5. Wissenschaftliches Review: Suicide in prisoners: a systematic review of risk factors (Fazel et al., 2008)

(https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19026254/)

6. S3-Leitlinie “Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit“

(https://register.awmf.org/assets/guidelines/138-001l_S3_Geschlechtsdysphorie-Diagnostik-Beratung-Behandlung_2019-02.pdf)

7. Broschüre “Trans* Menschen in Haft“ von der trans*-Ratgeber-Gruppe

(http://transundhaft.blogsport.de/images/Informationen_Fur_Transmenschen_inHaft2.pdf)

8. Artikel mit Alexia Metge in nd „Transidentität ist ein Fremdwort“

(https://www.nd-aktuell.de/artikel/1147023.transgeschlechtlichkeit-transidentitaet-ist-ein-fremdwort.html)

9. Artikel mit Alexia Metge in Zeit „Frau Metge kommt frei“ (hinter Paywall)

(https://www.zeit.de/zett/queeres-leben/2023-02/trans-menschen-frau-haft-gefaengnis)

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Medizinische Versorgung im Knast

Gesundheit für Alle! Oder?

TW: Triggerwarnung: Im folgenden Text werden psychische Erkrankungen, Suizidalität, Sucht und Abhängigkeitserkrankungen thematisiert. Wenn du im Moment nicht in der Lage dazu bist, damit umzugehen, dann lies diesen Text (jetzt gerade) besser nicht. Überlege dir, ob du den Text besser nicht alleine, sondern in Gesellschaft von Bezugspersonen lesen möchtest.

Medizinische Versorgung ist ein Menschenrecht. Per Gesetz sollten in Deutschland alle Menschen die notwendige medizinische Versorgung erhalten, die sie benötigen.[1] Das gilt auch für Personen die im Gefängnis sind.

Gemäß dem Äquivalenzprinzip (Sozialstaatsgebot; Art. 20 Abs. 1 GG), welches die Grundlage der medizinischen Versorgung in Haft regelt, sollte der Umfang der Gesundheitsversorgung in Haft grundsätzlich dem der gesetzlichen Krankenversicherung in Freiheit entsprechen. Gewährleistet werden sollte daher auch in Haft, eine leitliniengerechte, evidenzbasierte und patient*innenzentriete Versorgung.

Die Realität sieht anders aus. Das fängt dabei an, dass Bedingungen für eine gute medizinische Versorgung per se im Widerspruch zur Haftstrafe stehen. Die psychosozialen Belastungen eines Freiheitsentzugs, Isolation und Bewegungsmangel führen dazu, dass In Haft sein intrinsisch gesundheitsschädigend ist. Dem ist auch nicht durch die beste Gesundheitsversorgung in Haft entgegenzuwirken. Aber auch davon kann keine Rede sein. Die medizinische Versorgung in deutschen Haftanstalten, ist nicht mal ausreichend, geschweige denn gut.

Was ist der Status quo und die Problematiken in der Gesundheitsversorgung von Menschen in Haft?

In den allermeisten Fällen besteht keine freie Ärzt*innenwahl, da die medizinische Versorgung von Menschen in Haft primär durch sogenannten Anstaltsärzt*innen durchgeführt wird. Gerade im psychotherapeutisch-psychiatrischen Kontext hängt ein Therapieerfolg von einer guten Beziehung zwischen Behandler*in und Patient*in ab. Sich als Patient*in eine Zweitmeinung über eine potenzielle Diagnose oder die bestmögliche Behandlung einzuholen? Auch nicht möglich. Genauso fehlt die Möglichkeit einer unabhängigen Kontroll- und Beschwerdestelle für Patient*innen.

Anstalts*ärztinnen haben nicht nur Verpflichtungen gegenüber ihrer Patient*innen sondern auch gegenüber dem Justizsystem. Neben der Aufgabe ihre Patient*innen in Haft medizinisch gut zu versorgen, gehören auch eine Reihe Vollzugsaufgaben zu ihrem Alltag. Sie schreiben Gutachten, führen Urin- und Blutkontrollen durch und schätzen die mögliche Anwendung von Disziplinarmaßnahmen ein. Zudem ist die ärztliche Schweigepflicht in bestimmten Situationen durch „Offenbarungsbefugnisse über ärztliche Geheimnisse“ (§ 182(2) StVollzG) gegenüber der Justiz eingeschränkt ist. Anstaltsärzt*innen befinden sich dadurch in einem ständigen Spagat zwischen Sicherheitsauftrag und ihrem medizinischen Auftrag. Das diese von den Landesjustizministerien finanziert werden verstärkt diese „Dual Loyalty“ nur noch weiter. Von einem uneingeschränkten patient*innenorientiertem Handeln und einem auf Augenhöhe und auf Vertrauen basierten Ärzt*in-Patient*in- Verhältnis kann hier nicht ansatzweise die Rede von sein.

Erschwert ist außerdem der Zugang zu Sprachmittlung. Während in Freiheit zur Not noch auf Angehörige zurückgegriffen werden kann, fehlt es in Haftanstalten an ausreichend zur Verfügung gestellten Übersetzer*innen. Es resultieren gravierende Kommunikationsschwierigkeiten, die gerade in medizinischen Kontexten bedeutsame negative Konsequenzen mit sich ziehen können. Das sowieso bestehenden Machtgefälle in einer Ärzt*innen-Patient*innen-Beziehung wird durch diese Einschränkungen in Haft noch verstärkt und ist höchst problematisch.

Auch wenn Anstaltsärzt*innen bei fachspezifischem Behandlungsbedarf Überweisungen an externe Fachärzt*innen ausstellen können, müssen diese dennoch ein sehr breites medizinisches Aufgabenfeld abdecken. Im Grunde sind sie unter anderem mit allgemeinmedizinischen, infektiologischen, gynäkologischen sowie psychiatrischen und suchtmedizinischen Fragestellungen konfrontiert. Umso problematischer ist es, dass es bisher kein systematisches Curriculum für Anstaltsärzt*innen und auch keine Fortbildungspflicht in den zuvor genannten Fachgebieten gibt.

Hinzu kommt, dass in allen Bundesländern, wie auch in der Regelversorgung in Freiheit, ein großer Mangel an Ärzt*innen und medizinischem Fachpersonal herrscht. Durch diesen starken Personalmangel kommt es immer wieder zur Durchführung medizinischer Maßnahmen durch ungeschultes Personal.

Teilweise erweitert wird die medizinische Versorgung in Haft durch sogenannte Gefängniskrankenhäuser. In diesen sind alle soeben genannten Problematiken genauso vorhanden. Externe Einrichtungen sind ein letzter und seltener Schritt in der Versorgung inhaftierter Personen. Der organisatorische Mehraufwand durch die vorgeschriebene Überwachung der Patient*innen führt zu oft zu einer Nicht-Inanspruchnahme externer Einrichtungen und damit zur Fehlversorgung von Patient*innen.

Die Fehlversorgung von inhaftierten Personen in Haft steht einem besonders hohem Bedarf an medizinischer Versorgung und Prävention gegenüber. Die infektiologische Versorgung in Haft hängt den heutigen medizinischen Standards teilweise weit hinterher und das obwohl z.B. HIV- und Hepatitis C-Infektionen unter Menschen in Haft deutlich häufiger als in der Allgemeinbevölkerung vorkommen. Eigentlich sollen allen Inhaftierten bei Aufnahme und bei Bedarf im Verlauf Screening-Untersuchungen auf HCV, HBV und HIV angeboten werden und kostenlos Kondome zur Verfügung gestellt werden. Diese Untersuchungen werden allerdings nicht flächendeckend und standardisiert durchgeführt. Auch die Versorgung mit empfohlenen Impfungen bei HIV-Infektionen ist mangelhaft, genauso wie die Behandlung der jeweiligen Erkrankungen. Zwischen 2014 und 2019 erhielten nur 71 von 282 Menschen mit Hepatitis C in sächsischen Gefängnissen eine Behandlung. Präventionsansätze sucht man zudem fast vergebens. Ebenso wie in Freiheit gilt es Menschen in Haft vor Übertragungen zu schützen.

Auch im Bereich der medizinischen Versorgung von Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen ist eine immense Fehl- und Unterversorgung festzustellen.
Etwa 22-30% der Menschen in Haft sind intravenös drogengebrauchend. Schätzungen zufolge erhalten jedoch nur etwa 10 % der opiodabhängigen Personen in Haft eine geregelte Substitution. Zu der mangelnden Versorgung kommt hinzu, dass drogenabhängige Menschen besonders kriminellen Strukturen und Hierarchien in Haft, sowie psychosozial belastender Stigmatisierung und Ausgrenzung ausgesetzt sind. Neben fehlenden sozialen Strukturen nach Entlassung ist vor allem problematisch, dass während der Haft statt auf geregelte Substitution auf (partielle) Abstinenz gesetzt wird. So kommt es zu niedrigen Substanztoleranzen bei Haftentlassung. Es ergibt sich ein Teufelskreis aus Illegalität, Beschaffungskriminalität, Haft, Freiheit und Rückfall und eine signifikante Zunahme der Wahrscheinlichkeit für lebensbedrohliche Überdosierungen. Dementsprechend sind die drogenbedingten Todesfälle nach Haftentlassung überdurchschnittlich hoch. Es wird verpasst den Menschen eine geregelte Substitution zu ermöglichen und damit substituierte Patient*innen ohne Beschaffungsdruck gesundheitlich und sozial stabilisiert entlassen zu können.

Der Umgang mit psychischen Erkrankungen bzw. die psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung in Haft: unzureichend.

Ist eine gute psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung in dem psychisch belastendem Setting Gefängnis überhaupt möglich? Fraglich. Eine Inhaftierung ist oftmals mitverursachend für eine psychische Erkrankung. Bundesweite und valide Aussagen über die Prävalenz psychischer Erkrankungen lassen sich aufgrund fehlender vollständiger und systematischer Datenerhebungen nicht machen. Ebenso gibt es keine Analyse der Versorgungssituation, weder bezüglich der verschriebenen Psychopharmaka noch der durchgeführten Psychotherapien in Haft. Es lässt sich jedoch vermuten, dass ein Fokus auf die medikamentöse Therapie gelegt wird.
Ein gravierendes Problem ist, dass psychische Probleme und Auffälligkeiten gefährlicherweise teils als Zeichen des Widerstandes der Inhaftierten angesehen werden.
Jährlich steigende Suizidraten in Haft spiegeln jedoch die dringliche Notwendigkeit und eine Verbesserung dieses Versorgungsdefizites dramatisch wider.

Ebenso ist die zahnmedizinische Versorgung in Haft desolat. Auf dem Papier ist diese einschließlich Zahnersatz vorgesehen, jedoch können Landesjustizverwaltungen bestimmen, dass Zuschüsse von inhaftierten Menschen gezahlt werden müssen. Hierdurch werden viele Behandlungen aufgrund des Selbstkostenanteils unbezahlbar. Da das Ausmaß der zahnärztlichen Behandlung von Haftdauer und -art abhängt, ist zum Beispiel bei Untersuchungshaft, Ersatzfreiheitsstrafen oder Haftlängen, die die Behandlungsdauer unterschreiten, nur eine Schmerzbehandlung bzw. chirurgische Therapie vorgesehen.

Fazit: Personen in Haft sind systematisch fehl- und unterversorgt.

Aber sobald die Haftstrafe abgesetzt wurde, erhalten Personen wieder eine gute medizinische Versorgung in Regelversorgung? Nicht zwingend!

Selbst über die Haftdauer hinaus kann es zu einer unzureichenden Gesundheitsversorgung kommen. Mit Haftbeginn scheiden Menschen aus der gesetzlichen Krankenversicherung aus, da die Justizvollzugsbehörden für die Finanzierung der medizinischen Leistungen in Haft zuständig sind. Eine Wiederaufnahme in die GKV ist nach Haftende nicht immer gegeben. Von einem Schutz eines*r jeden Bürger*in im Krankheitsfall, wie es die Versicherungsplicht nach § 5 SGB V vorsieht kann in diesem Zuge wohl kaum noch die Rede sein. Entlassene Menschen müssen für medizinische Leistungen ggf. in Vorkasse treten. Ebenso kann es zu einem Bruch in der Behandlung durch das Haftende kommen, da eine verlässliche Informationsweitergabe nicht gewährleistet ist.

Wir fordern:

Wir fordern eine grundlegende Umstrukturierung des Strafsystems. Im bestehenden System muss mit drängender Notwendigkeit Folgendes umgesetzt werden.

  • Bedarfsgerechte medizinische Versorgung entsprechend dem Äquivalenzprinzip!
    Medizinische Versorgung ist ein Menschenrecht – auch in Haft muss eine leitliniengerechte, evidenzbasierte und patient*innenzentrierte Versorgung erfolgen!
  • Flächendeckende Gesundheitsberichterstattung – nur so kann eine ausreichende Versorgung kontrolliert werden und strukturelle Probleme aufgezeigt werden
  • Ein einheitliches Curriculum und spezifische Aus- und Weiterbildungen für medizinisches Personal im Gefängnis, u.a. für Anstaltsärzt*innen
  • Durchführung der medizinischen Versorgung nur durch geschultes und sensibilisiertes medizinisches Personal
  • Schnellen und einfachen Zugang zu professioneller Sprachmittlung
  • Ein strukturiertes Entlassungsmanagement welches die Wiederaufnahme in die Krankenversicherung sicherstellt und eine lückenlose medizinische Versorgung gewährleistet
  • Die Ärzt*innen-Patient*innen- Beziehung muss auf Vertrauen basieren. Dazu ist es essenziell, dass so weitgehend wie möglich eine freie Ärzt*innenwahl sichergestellt wird. Behandelnde Ärzt*innen dürfen keine Vollzugsaufgaben übernehmen, damit diese in keinen Interessenskonflikt zwischen Justiz und ihren Patient*innen stehen. Es gilt zudem bundesweit Beschwerdemöglichkeiten mit entsprechendem Konsequenzen-Management einzurichten.
  • Umsetzung von infektiologischen Präventionsmaßnahmen: u.a. Zugang zu Nadelaustauschprogramme, Versorgung mit Kondomen und Bereitstellung von hygienischem Tätowierbesteck
  • Implementierung geregelter Substitutionsprogramme um drogengebrauchenden Inhaftierten den Zugang zu einer adäquaten Substitution sowie zur unterstützenden Psychotherapie zu ermöglichen
  • Der Strafgedanke darf keinen Anteil an der medizinischen Versorgung inhaftierter Personen haben!

Quellen/Verweise:

 

Palliativmedizin in deutschen Gefängnissen: Für ein menschenwürdiges Sterben hinter Gittern!

Der Status quo der Palliativmedizin in deutschen Gefängnissen ist alarmierend. Die Zahl der Menschen, gegen die eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt wurde, hat sich innerhalb der letzten fünfzehn Jahre verdoppelt. Hinzu kommt, dass unsere Gesellschaft immer älter wird und folglich auch Inhaftierte immer älter und pflegebedürftiger werden – und doch bleiben sie haftfähig. Doch auf all die alten und kranken Menschen in der Endphase ihres Lebens ist der Vollzug nicht eingestellt.

Obwohl es das Recht auf angemessene medizinische Versorgung für alle Menschen gilt, gibt es nach wie vor erhebliche Defizite in der Betreuung schwerkranker Inhaftierter. Der Zugang zu qualifizierten Palliativexpert*innen, speziellen Einrichtungen und schmerzlindernden Maßnahmen ist unzureichend. Oft werden Gefangene mit fortschreitenden Krankheiten isoliert und ihrem Schicksal überlassen, ohne die erforderliche Unterstützung und Fürsorge zu erhalten. Wenn wir es ernst nehmen, dass jeder Mensch das Recht auf ein würdevolles Sterben hat, müssen wir uns die Frage stellen, ob dies innerhalb der Gefängnismauern überhaupt möglich ist.

Doch was bedeutet würdevolles Sterben überhaupt? „Menschenwürdig sterben ist, wenn man in Freiheit und in Frieden sterben kann.“, so Prof. Dr. Rüdiger Wulf, Ministerialrat im Justizministerium Baden-Württemberg. (1) Dabei sollte die Menschenwürde für alle und uneingeschränkt auch für Gefangene gelten. Also auch dann, wenn der Mensch seine Freiheit für Straftaten missbraucht. Jedoch lassen die gegenwärtigen Umstände eher darauf schließen, dass sterbende Inhaftierte Personen als Objekte staatlicher Behandlung angesehen werden:

→ Inhaftierte haben keine Entscheidungsfreiheit über den Ort ihres Sterbens. Oftmals müssen sie im Gefängnis oder im Vollzugskrankenhaus sterben.

→ Es besteht keine freie Ärzt*innenwahl.

→ Inhaftierte haben keinen Anspruch auf die Anwesenheit der ihnen nahestehenden Personen während ihres Lebensendes.

Laut Bundeszentrale für politische Bildung besteht eine der Hauptaufgaben des Vollzugs in der Resozialisierung der Gefangenen. In § 2 des Strafgesetzbuches ist als Vollzugsziel festgehalten: „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.“ (2)

Doch rechtfertigt der Strafzweck des Resozialisierens ein Sterben im Vollzug? Nein, findet der auf Strafrecht spezialisierte Passauer Anwalt Bruno Fuhs: „Wo wollen Sie denn einen 70- Jährigen hinresozialisieren? Ab einem bestimmten Alter ist es reine Verwahrung.“ (1)

Kritikpunkte gibt es viele. Die Konzeption einer Sterbebegleitung inhaftierter Personen steht nur in geringem Einklang mit den gegenwärtigen Abläufen und Strukturen des Strafvollzugs.

Vor allem fehlt es an ausreichend geschultem Personal, das sich auf die Betreuung sterbender Gefangener spezialisiert hat. Palliativmedizin erfordert eine besondere Expertise, um Schmerzen zu lindern, psychische Unterstützung zu bieten und die Würde der sterbenden Person zu wahren. Doch in vielen Gefängnissen fehlt es an Ärzt*innen, Pflegekräften und Seelsorger*innen, die über das notwendige Wissen und die Erfahrung in der palliativen Versorgung verfügen.

Außerdem müssen die Ressourcen für palliative Maßnahmen in Gefängnissen dringend verbessert werden. Angemessene Einrichtungen und Ausstattung sowie der Zugang zu spezialisierten Medikamenten und Hilfsmitteln sind unverzichtbar, um den sterbenden Inhaftierten ein würdiges und schmerzfreies Ende zu ermöglichen. Die aktuelle Unterfinanzierung und der Mangel an Investitionen in die Palliativversorgung in Gefängnissen sind inakzeptabel.

Aktuell muss noch ein erheblicher administrativer Aufwand unternommen werden, um zu gewährleisten, dass inhaftierte Betroffene jenseits des Gefängnisses einen menschenwürdigen Sterbeprozess erfahren können. Oftmals kommt es zu anschließenden Schwierigkeiten mit dem zu bestimmenden Kostenträger. (1) Der Bericht „Wir haben hier doch alles im Griff“ eines Sterbenskranken aus der JVA Tegel, erschienen in der Ausgabe der Gefangenenzeitung „Der Lichtblick“ im März 2016, zeigt als Beispiel den schwierigen Weg zu einem gerechten Zugang zu einer würdevollen Versorgung am Lebensende: „Nur durch [solche] Kontakte ist es überhaupt möglich, sich draußen Gehör zu verschaffen, ohne sang und klanglos im Justizapparat zu verschwinden. Im rein medizinischen Bereich ist es schon wahnsinnig schwer voranzukommen, eine zweite Hürde ist die Justiz als solche. Obwohl alle behandelnden Fachärzte einheitlich davon ausgehen, dass die restliche Lebenserwartung mehr als begrenzt ist, gelte ich als haftfähig. Ein Gnadengesuch, ja sogar eine zeitlich begrenzte Haftunterbrechung wurden mit ein, zwei nichtssagenden Sätzen abgelehnt […]“. (3)

Quellen