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Medizin und Knast

Trans* im Knast

Triggerwarnung: Im folgenden Text werden Transfeindlichkeit, Gewalt und Isolationshaft mit ihren körperlichen und psychischen Folgen thematisiert. Wenn du im Moment nicht in der Lage dazu bist, damit umzugehen, dann lies diesen Text (jetzt gerade) besser nicht. Überlege dir, ob du den Text besser nicht alleine, sondern in Gesellschaft von Bezugspersonen lesen möchtest.

Trans* sein wird im Gefängnis nicht mitgedacht. Stattdessen werden trans* Menschen aktiv diskriminiert und isoliert. Neben allgemeinen krankmachenden Faktoren des Knastalltags sind Gefangene, die trans* sind, von weiteren spezifischen (gesundheitlichen) Problemen im Gefängnis betroffen.

(Einige wichtige Begriffe, die nicht direkt im Text erklärt werden, sind am Ende der Seite im Glossar zu finden. Dort finden sich auch Verweise, die im Text an der jeweiligen Stelle mit einer Fußnote markiert sind.)

Zuteilung zu Männer- und Frauengefängnissen

Institutionelle Transfeindlichkeit wird schon in der Zuteilung zu Männer- und Frauengefängnissen sichtbar. Es gilt der sogenannte Trennungsgrundsatz. So werden Personen nach ihrem Personenstand, also dem eingetragenen Geschlecht, eingeteilt. Dabei ist es den Justizvollzugsanstalten selbst überlassen, ob sie einen Ergänzungsausweis anerkennen.

Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG), welches das diskriminierende und veraltete sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) ablösen soll, bringt bezüglich der Zuteilung zum Gefängnis keine Verbesserung für trans* Menschen. Im Gegenteil steht im aktuellen Entwurf des SBGG unter dem Punkt „Unterbringung im Justizvollzug“ explizit ein Passus, der besagt, dass die Einteilung nicht auf Basis des Personenstandes bzw. Personenstandsänderung erfolgen muss:

„Die Unterbringung von Strafgefangenen muss sich nicht allein am Geschlechtseintrag orientieren, das SBGG gebietet mithin nicht, dass Personen immer entsprechend ihrem personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag in einer entsprechenden Anstalt untergebracht werden. Das Grundgesetz und die Fürsorgepflicht der Anstalt verlangen vielmehr, bei der Unterbringung im Strafvollzug die Sicherheitsinteressen und Persönlichkeitsrechte aller Strafgefangenen zu berücksichtigen. Ändert ein bislang männlicher Strafgefangener seinen Geschlechtseintrag in „weiblich“, können Persönlichkeitsrechte und Sicherheitsinteressen anderer Strafgefangenen seiner Verlegung in ein Frauengefängnis gegebenenfalls entgegenstehen, eine Differenzierung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bleibt nach Maßgabe der Landesgesetze mithin auch weiterhin möglich.“1

Zwar ist eine Personenstandsänderung nach TSG komplizierter, aufwändiger, teurer und hochschwelliger als durch das SBGG, jedoch bietet eine Personenstandsänderung nach TSG offensichtlich eine klarere Grundlage bei der Zuordnung zu Männer- und Frauengefängnissen als die Personenstandsänderung nach SBGG. Gleichzeitig wird hier ein transfeindliches Narrativ der „Sicherheitsinteressen anderer Strafgefangenen“ aufgenommen.

Nicht-Binarität und Intergeschlechtlichkeit finden weder im Trennungsgrundsatz noch im SBGG Erwähnung. Es ist davon auszugehen, dass nicht-binäre Menschen hauptsächlich auf Basis ihres bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts und Personenstands bzw. auf Basis biologischer Merkmale zugeteilt werden.

Diskriminierung im Gefängnis und Isolationshaft

Trans* Menschen erleben in Gefängnissen laut Studien regelmäßig Anfeindungen, Diskriminierung und Gewalt von Personal und anderen Gefangenen2. Personal und andere Gefangene sind nachweislich nicht ausreichend sensibilisiert im Umgang mit trans* Menschen3. Das führt zu häufigeren Konflikten, auch zwischen den Gefangenen.

Immer wieder wird berichtet, dass es bei Konflikten und gewaltvollen Auseinandersetzungen im Gefängnis häufig üblich ist, aus „pragmatischen Gründen“ nicht die Aggressor*innen, sondern die angegriffene Person in Isolationshaft unterzubringen. Häufig gehören diese einzelnen, angegriffenen Personen (mehrfach) marginalisierten Gruppen an. So ist davon auszugehen, dass auch trans* Menschen häufiger isoliert werden. Berichten zufolge erfolgt diese Isolierung von trans* Menschen teilweise schon vor dem Auftreten von Konflikten mit der Begründung einer „Gefahr der Sicherheit“. Gewaltvollen Auseinandersetzungen soll dadurch vermeintlich vorgebeugt werden. Offizielle Zahlen und statistische Auswertungen zu trans* Menschen in Isolationshaft gibt es nicht.

Die Isolationshaft ist eine schwerere Form des Strafvollzugs mit kompletter Abgrenzung von anderen Gefangenen. Zahlreiche gesundheitliche (Langzeit-)Folgen körperlicher und psychischer Art sind nachgewiesen4. So ist die Isolationshaft u.a. als der größte Risikofaktor für Suizid bei Gefangenen belegt5.

Medizinische Transition in Haft

Das in Deutschland geltende Äquivalenzprinzip besagt, dass Gefangenen die gleiche medizinische Versorgung in Haft zusteht wie gesetzlich Versicherten außerhalb des Knasts. Trotz des Äquivalenzprinzips haben trans* Menschen nur eingeschränkte Möglichkeiten der sozialen und medizinischen Transition im Knast. Die Dringlichkeit der Versorgung wird häufig kleingeredet mit dem Verweis darauf, dass die Transition bis nach der Haftstrafe warten könne. Dass ein Aufschieben dieser Maßnahmen schlecht ist, wird selbst in der aktuellen S3-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit“ deutlich. In dieser wird auf die Wichtigkeit und Notwendigkeit medizinischer Transitionsmaßnahmen hingewiesen und es werden Studien zitiert, die eine Verbesserung der psychischen Gesundheit von trans* Menschen durch von ihnen erwünschte körperliche Veränderungen belegen6.

Des Weiteren wird Fachpersonal häufig nicht hinzugezogen und Anträge zu stellen für die Durchführung und Kostenübernahme von Leistungen im Rahmen der medizinischen Transition wird meistens erschwert. Dazu kommt, dass es an einer psychologischen Betreuung in der Regel gänzlich fehlt. Wenn eine medizinische Transition im Knast stattfindet, ging dieser in den meisten Fällen ein mühsamer Prozess der Betroffenen voraus. Diese Situation beschreiben viele trans* Personen, die in Haft medizinisch transitionieren wollten oder mit der Transition begonnen haben. Verlässliche Zahlen gibt es nicht, unter anderem auch, weil nicht einmal die Anzahl an trans* Menschen in deutschen Gefängnissen erfasst wird.

Initiativen wie die trans*-Ratgeber-Gruppe bieten Informationen für trans* Menschen in Haft an. In ihrer Broschüre7 wird neben Regularien, Tipps und Möglichkeiten der Transition in Haft auch auf die alltäglichen Probleme und Herausforderungen von trans* Menschen in Haft eingegangen.

Öffentliche Wahrnehmung

In der Öffentlichkeit wird häufig ein falsches Bild von Gefangenen gezeichnet, das suggeriert, Menschen seien selbst schuld, im Knast zu sein. Das ignoriert die Lebensumstände (mehrfach) marginalisierter und armer Menschen, die einerseits durch ihre Lebensumstände straffällig werden und andererseits für ihre Lebensumstände (z.B. Armut im Fall von Ersatzfreiheitsstrafen) bestraft werden. Zugespitzt wird dies in dem negativen Bild, das viele Menschen von Gefangenen in Isolationshaft haben. Doch auch hier werden die zuvor genannten Faktoren außer Acht gelassen. Insbesondere trans* Personen werden als kompliziert und fordernd sowie als Bedrohung der Sicherheit dargestellt. Es gibt einige Menschen, die mit ihren Erfahrungen im Gefängnis an die Öffentlichkeit gehen. Eine davon ist Alexia Metge, die über ihre Erfahrungen als trans Frau im Knast spricht8,9. Es ist wichtig, neben den Fakten über Gefängnis und Gesundheit und der besonders prekären Situation von trans* Menschen in Haft auch diese persönlichen Erfahrungsberichte zu hören und zu verbreiten.

Forderungen

Neben den gesundheitlichen und sozialen Problemen, denen alle Gefangenen im Knast ausgesetzt sind, sind trans* Menschen also von weiterer Gewalt betroffen. Falsche Zuteilung, Diskriminierung, körperliche Gewalt, häufigere Isolationsmaßnahmen und eine mangelhafte medizinische Versorgung im Rahmen der medizinischen Transition sind starke Risikofaktoren für verschiedene psychische und körperliche Probleme und machen krank.

Innerhalb des Strafsystems sollten aus sozialen und gesundheitlichen Gründen zumindest einige Veränderungen angestrebt werden, um die jetzige Situation von Menschen in Haft zu verbessern: Dazu gehören eine Abschaffung der Isolationshaft, ein professionelles Angebot der medizinischen und sozialen Transition, eine Sensibilisierung von Personal und anderen Gefangenen im Umgang mit trans* Personen sowie eine korrekte Zuteilung der Gefangenen nach Personenstand im angepassten Ausweisdokument bzw. im Ergänzungsausweis. Nicht-binäre und inter* Personen sollten selbst über ihre Zuteilung entscheiden dürfen.

Das Gefängnissystem, wie es momentan existiert, macht krank. Klar ist: wir brauchen einzelne Veränderungen für eine vorübergehende Verbesserung der Situation. Vor allem braucht es aber – gerade auch aus gesundheitspolitischer Sicht – einen grundlegenden Wandel: lasst uns das Strafsystem transformieren und uns nicht nur mit Reformen zufrieden geben! Queere Solidarität im Knast und überall!

Glossar/Erklärungen

  • Ergänzungsausweis: Ein Ergänzungsausweis ist ein Dokument, das ähnlich groß wie ein Personalausweis ist und diesen ergänzt, also in Kombination mit diesem gültig ist. Er kann relativ unbürokratisch über die dgti e.V. (Deutsche Gesellschaft für Transsexualität und Intersexualität) beantragt werden und ermöglicht die Angabe eines selbstgewählten Vornamens und Geschlechtseintrags.
  • Intergeschlechtlichkeit: „Intergeschlechtlichkeit bezeichnet generell angeborene körperliche Merkmale, die nicht in die binäre gesellschaftliche Norm von männlich und weiblich passen. […] Dies bedeutet […], dass der Körper eines intergeschlechtlichen Menschen nicht dem entspricht, was wir als Gesellschaft als männlich oder weiblich klassifizieren.“ (inter-nrw.de, zuletzt angerufen am 30.6.2023)
  • Nicht-binarität: „Nichtbinär ist ein Geschlecht. Als nichtbinär können sich Menschen bezeichnen, die nicht (oder nicht zu 100%) Mann oder Frau sind. Stattdessen ist ihr Geschlecht beispielsweise beides gleichzeitig, zwischen männlich und weiblich, oder weder männlich noch weiblich.“ (queer-lexikon.net, zuletzt angerufen am 29.6.2023)
  • S3-Leitlinie: Eine S3-Leitlinie ist die wissenschaftlich hochwertigste Form einer medizinischen Leitlinie, die evidenz- und konsensbasiert entwickelt wird, also strukturierte Studien und Expert*innenmeinungen einfließen lassen und stetig aktualisiert werden. Sie dienen als Behandlungsgrundlage in der Medizin.
  • trans*: „Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, sind trans. Nicht alle Menschen, auf die dies zutrifft, bezeichnen sich selbst so. Trans wird jedoch häufig als Selbstbezeichnung verwendet.“ (queer-lexikon.net, zuletzt angerufen am 29.6.2023)
  • Transition: „Als Transition wird der Prozess bezeichnet, in dem eine trans Person soziale, körperliche und/oder juristische Änderungen vornimmt, um das eigene Geschlecht auszudrücken. Dazu können Hormontherapien und Operationen gehören, aber auch Namens- und Personenstandsänderungen, ein anderer Kleidungsstil, eine neue Frisur und viel anderes.“ (queer-lexikon.net, zuletzt angerufen am 29.6.2023)

Verweise

1. Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(https://www.bmfsfj.de/resource/blob/224548/4d24ff0698216058eb758ada5c84bd90/entwurf-selbstbestimmungsgesetz-data.pdf)

2. Wissenschaftliches Review: Experiences of transgender prisoners and their knowledge, attitudes, and practices regarding sexual behaviors and HIV/STIs: A systematic review (Brömdal et al., 2019)

(https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32999591/)

3. Wissenschaftliches Review: Contemporary transgender health experience and health situation in prisons: A scoping review of extant published literature (2000-2019) (Van Hout et al., 2020)

(https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34993510/)

4. Wissenschaftliches Review: The body in isolation: The physical health impacts of incarceration in solitary confinement (Strong et al., 2020)

(https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33035215/)

5. Wissenschaftliches Review: Suicide in prisoners: a systematic review of risk factors (Fazel et al., 2008)

(https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19026254/)

6. S3-Leitlinie “Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit“

(https://register.awmf.org/assets/guidelines/138-001l_S3_Geschlechtsdysphorie-Diagnostik-Beratung-Behandlung_2019-02.pdf)

7. Broschüre “Trans* Menschen in Haft“ von der trans*-Ratgeber-Gruppe

(http://transundhaft.blogsport.de/images/Informationen_Fur_Transmenschen_inHaft2.pdf)

8. Artikel mit Alexia Metge in nd „Transidentität ist ein Fremdwort“

(https://www.nd-aktuell.de/artikel/1147023.transgeschlechtlichkeit-transidentitaet-ist-ein-fremdwort.html)

9. Artikel mit Alexia Metge in Zeit „Frau Metge kommt frei“ (hinter Paywall)

(https://www.zeit.de/zett/queeres-leben/2023-02/trans-menschen-frau-haft-gefaengnis)